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Tacita Dean - Antigone

 Tacita Dean Antigone

Das Kunstmuseum Basel | Gegenwart zeigt die Schweizer Erstaufführung von Antigone (2018), der bisher komplexesten Arbeit von Tacita Dean (geb. 1965). Die Präsentation des einstündigen, anamorphotischen 35mm-Films wird durch weitere Filme, Fotografien, Fotogravuren und Kreidezeichnungen der britisch-europäischen Künstlerin ergänzt.

GEGENWART / 28.08.2021–30.01.2022 / Kuratorinnen: Heidi Naef (Laurenz-Stiftung, Schaulager), Isabel Friedli (Laurenz-Stiftung, Schaulager)

Zum Podcast "Blindspots" des Kunstmuseums Basel zur Ausstellung Tacita Dean. Antigone.

Das Kunstmuseum Basel | Gegenwart zeigt die Schweizer Erstaufführung von Antigone (2018), der bisher komplexesten Arbeit von Tacita Dean (geb. 1965). Die Präsentation des einstündigen, anamorphotischen 35mm-Films wird durch weitere Filme, Fotografien, Fotogravuren und Kreidezeichnungen der britisch-europäischen Künstlerin ergänzt.

In Antigone geht es um den Namen Antigone und alles, was in ihm anklingt, nicht nur in der griechischen Literatur der Antike, sondern auch im eigenen Leben der Künstlerin. Antigone ist der Name von Deans älterer Schwester und gehört somit zu den ersten Wörtern, die die Künstlerin gelernt hat. Ebendiesen Namen trägt bekanntlich auch die Heldin in der thebanischen Trilogie des griechischen Tragödiendichters Sophokles, was Dean darauf brachte, ihre eigene Geschichte mit dem mythologischen Kosmos der klassischen Antike zu verflechten.

Stofflich richtet sich Deans literarisches Interesse auf einen von Sophokles dramatisch nicht behandelten Zeitraum zwischen König Ödipus und Ödipus auf Kolonos, in welchem der geblendete, verbannte König Ödipus an der Seite seiner Tochter Antigone durch die Wildnis irrt, bis er schliesslich auf dem Hügel Kolonos einen heiligen Hain vor Athen erreicht. Solche Leerstellen, Nebenschauplätze und Zufälle haben Dean schon immer fasziniert. Ihre ersten noch unausgegorenen Ideen für Antigone reichen ins Jahr 1997 zurück, als sie im Rahmen des Sundance Screenwriting Lab versuchte, ein Drehbuch zu diesem Stoff zu verfassen; die Vollendung des Werks – ihre wohl bisher intimste und rätselhafteste Arbeit – sollte jedoch noch mehr als zwei Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Antigone wurde dank Deans Technik der Blendenmaskierung ausschliesslich mit und im Innern einer 35mm-Kamera auf Film gebannt. Diese Technik ermöglicht es der Künstlerin, mehrere Bilder innerhalb eines einzelnen Filmbildes festzuhalten, wobei Schablonen und Mehrfachbelichtungen zum Einsatz kommen. So entsteht das montierte Filmmaterial, das dem Resultat einer digitalen Nachbearbeitung täuschend ähnlich sieht, tatsächlich in der Kamera selbst. Das heisst: Die von der Künstlerin vor Ort getroffenen Entscheidungen fliessen gleichermassen in den Prozess des Filmemachens ein wie der Zufall. Antigone ist ein durch und durch analoges Werk. Die subtilen Eingriffe in die optische Mechanik der Filmkamera machen es zu einem technisch wie thematisch kühnen Experimentalfilm.

Zentrales Thema von Antigone ist die Blindheit: Die künstlerische Blindheit – Dean lässt sich immer auch von Zufall lenken und räumt Unvorhergesehenem Platz ein. Die technische Blindheit: ihre durch Maskierung und Mehrfachbelichtungen zu verschiedenen Zeiten und an wechselnden Orten entstandenen Bildfindungen konnte sie erst sehen, nachdem das Negativ im Labor entwickelt und gedruckt worden war. Dann die Blindheit von König Ödipus, der sich angesichts seiner unwissentlich begangenen Verbrechen selbst blendete und aus der Stadt Theben verbannte. Und schliesslich die Blindheit der Natur: Inneres Uhrwerk von Antigone ist eine Sonnenfinsternis, die Dean in Wyoming gefilmt hat. In der filmischen Doppelprojektion verweben sich die thematischen Fäden zu einer Dramaturgie, deren Einheit von Ort, Zeit und Handlung wie durch ein Prisma in einen Fächer aus strahlenden Bildern aufgebrochen wird.

Die Künstlerin hat sich im letzten Jahrzehnt der erneuten Verwendung einiger früher, visionärer Techniken des Filmemachens gewidmet, die das Kino, wie wir es kennen, hervorgebracht haben, und liefert mit ihrer Überarbeitung ein starkes Argument für dieses Medium im 21. Jahrhundert. Dieses Bestreben gipfelte 2011 in der monumentalen Installation FILM für die Turbinenhalle der Tate Modern in London. Für ihre Virtuosität im Umgang mit diesen filmischen Verfahren wird sie mitunter von Kritikern als «Heldin des Zelluloids» gefeiert. Gleichzeitig hat Dean eine Bewegung initiiert, die das Bewusstsein für die Besonderheit des analogen Films schärfen soll und sich für dessen Erhalt und weitere Verfügbarkeit einsetzt. Leider ist die Zukunft von 16mm- und 35mm-Filmmaterial nach wie vor gefährdet.

Antigone wird im Kunstmuseum Basel | Gegenwart durch eine kleine Auswahl von Werken Deans ergänzt, die in engem Zusammenhang mit dem Film stehen. Hinzu kommen die grossformatige Kreidezeichnung Chalk Fall (2018) und einige Schieferarbeiten, darunter auch die neuste Zeichnung, Cynthia Teemin (2021) – Cynthia ist ein Vollmond. Der Titel dieses Werks ist einer Zeile des Gedichts Eyes and Tears des metaphysischen Dichters Andrew Marvell entliehen.

Als Fortsetzung der Ausstellung ist eine Gruppe von kurzen 16mm-Filmen zu sehen, die zum ersten Mal gemeinsam gezeigt werden. Ear on a Worm (2017) etwa entstand in Anlehnung an Leonard Cohens Song Bird on a Wire. Auf der Fahrt durch Los Angeles stimmte die Künstlerin angesichts der Vögel auf den zahllosen, kreuz und quer durch die Stadt gespannten Telegrafendrähten gern die Anfangszeilen dieses Liedes an. Die Herausforderung für Dean bestand darin, einen Vogel während der gesamten Lieddauer von 3 Minuten und 28 Sekunden auf Film festzuhalten. In A Cloud Makes Itself (2020) ist zu beobachten, wie sich eine Wolke im tiefen Blau des Himmels über L.A. bildet und wieder auflöst, und Providence (2018) ist ein stilles Duett zwischen dem Schauspieler David Warner und Kolibris. Erstmals zu sehen ist auch eine neue Serie handgezeichneter Lithografien mit dem Titel LA Magic Hour (2019–2021), die in Zusammenarbeit mit dem Druckverlag Gemini GEL entstanden ist.

Antigone ist, wie viele andere Werke der Künstlerin, Teil der Sammlung der Emanuel Hoffmann-Stiftung. Mit seiner Laufzeit von genau einer Stunde wird das Werk als fortlaufende Projektion präsentiert, die so synchronisiert ist, dass der Film zu jeder vollen Stunde neu beginnt. Um den emotionalen Verlauf des Films wirklich zu verstehen, empfiehlt es sich, den Film von Anfang bis Ende zu schauen.

Vorführzeiten: Täglich um 11, 12, 13, 14, 15, 16 und 17 Uhr