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Magnus Rust MA
Assistent / DoktorandAssistent / Doktorand
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Basel
Schweiz
Das autonome Selbst im Zeitalter der Automation. Joseph Weizenbaum und die Ideengeschichte der KI-Kritik, ca. 1950-1990
Technologische Innovationen führen unumstößlich zu Autonomieverlust und zur Entfremdung des Menschen von sich selbst. Diese Diagnose begleitet Industriestaaten seit ihrer Entstehung. Aber gibt es wirklich so etwas wie eine dystopische Technikspirale?
Das Forschungsprojekt untersucht erstmals das Leben und Werk des deutsch-amerikanischen Informatikpioniers und Gesellschaftskritikers Joseph Weizenbaum (1923-2008) und stellt die Frage: Wie sah die sich wechselseitig beeinflussende Entwicklung von Computertechnik und Computerkritik aus?
Bislang kondensieren anekdotische Rückschauen Weizenbaums Leben zumeist auf zwei Meilensteine: Erstens, 1966 Veröffentlichung des Programms ELIZA/DOCTOR, das als erster Chatbot der Computergeschichte gilt. Zweitens, 1976 Veröffentlichung des technikkritischen Buches «Computer Power and Human Reason», das bis heute im deutschsprachigen Raum rezipiert wird.
Die Arbeit folgt den biografischen Spuren Weizenbaums und versucht die Denkkollektive und Milieus zu nachzuvollziehen, in denen er sich bewegte. Begonnen bei seiner Arbeit am automatisierten Cheques-System ERMA in den 50er Jahren. Anfang der 60er Jahre knüpft er in der kalifornischen Bay Area erste Kontakte mit lokalen Psychiatern, die das Forschungslayout seines späteren Chatprogramms ELIZA/DOCTOR maßgeblich beeinflussen. Als Informatik-Professor der Elite-Hochschule MIT tritt er ab den 70ern Jahren vermehrt als Technik- und Gesellschaftskritiker auf und erhält bis zu seinem Tod ein Label, das er sich zu eigenmachte: Ketzer der Informatik. Ab den 80er Jahren, mit einer MIT-Professur im Rücken, wird er hauptberuflicher Technikkritiker, der zwischen den USA und Westdeutschland pendelt.
Das Projekt zeichnet Weizenbaums Wirken im intellektuellen Moiré seiner Zeit nach Beeinflusst von Kybernetik und Rechnerentwicklung, von Shoah, Bürgerbewegung und Vietnam-Krieg, von einer humanistischen Tradition Europas und einem Technikutopismus im Forschungsfeld der Künstlichen Intelligenz (KI). Dabei steht im Mittelpunkt die kritische Rekonstruktion seiner Verquickungen mit Gegenspielern wie Marvin Minsky, Seymour Papert oder Hans Moravec, als auch mit Gleichgesinnten wie Lewis Mumford, Robert Jungk, Hubert Dreyfus, Herbert Marcuse oder Hannah Arendt. Aus den Archiv-Materialien des MIT, Stanfords, oder Harvards wird ersichtlich wie unterschiedlich seit den 1960ern Personen die neuen Computertechnologien konzeptualisiert und bewertet haben.
Im Fahrwasser von Weizenbaums Leben lassen sich so die Verwerfungen und Kontingenzen der jüngsten Informatikgeschichte verstehen, welche die Grundlage unseres aktuellen Informationszeitalter bilden. Weizenbaum folgen, heißt die Ursprünge von KI, Digitalisierung, Machine Learning und zeitgenössischer Internetkritik verstehen.