Ausgangspunkt des Projekts ist die Beobachtung, dass in der modernen Medizin ein grosser Teil der Diagnostik und Therapie auf Bildern beruht, die nicht vom menschlichen Auge erzeugt werden, sondern von technischen Systemen. Das Ziel war, zu verstehen, wie diese maschinell erzeugten Bilder epistemische Autorität erlangen; also als „wahr“ und vertrauenswürdig gelten und welche institutionellen, technischen und sozialen Mechanismen dieses Vertrauen absichern.
Daraus entstanden folgende drei Fragestellungen, die dieses Projekt begleiteten:
Das Projekt kombiniert Fallanalyse und theoretische Einbettung. Ausgangspunkt ist eine persönliche Erfahrung mit dem Aphereseverfahren: Das Gerät „Spectra Optia“ zentrifugiert Blut und visualisiert in Echtzeit Konzentrationsverläufe. Diese Bilder sind keine Abbildungen im klassischen Sinn, sondern symbolische Darstellungen, deren Sinn sich nur im klinischen Kontext erschliesst. Die theoretische Basis bilden u. a.:
-Mechanische Objektivität (s. unten: Daston/Galison) – Technik als scheinbar neutrale Beobachterin.
-Black Box (z.B. s. unten: Pasquale) – undurchsichtige Funktionsweise bei gleichzeitig hohem Vertrauen.
-Skilled Vision (s. unten: Grasseni) – Bilder entfalten Bedeutung erst durch die Deutung medizinisch geschulter Fachkräfte.
Methodisch wurden Bildpraktiken im Aphereseprozess analysiert und mit anderen Verfahren der medizinischen Bildgebung (MRT, Mikroskopie) verglichen.
Aus diesen Beobachtungen konnte ich somit verschiedene Erkenntnisse ziehen:
Vertrauen entsteht nicht allein durch technische Präzision, sondern durch ein Zusammenspiel aus standardisierten Verfahren, institutioneller Legitimation und ärztlicher Interpretationskompetenz. Das heisst, dass die Maschine nicht für sich selbst „spricht“. Ihre epistemische Autorität wird zwischen Apparat und Fachpersonal koproduziert. Die Autorität des Apparats stützt sich dementsprechend auf eine epistemologische Infrastruktur (s. unten Rheinberger), die Kalibrierung, Zertifizierung und klinische Routinen umfasst.
Aus diesen, im medizinischen Bereich erzeugten Bildern, kann man daraus schliessen, dass Bilder im Allgemeinen nicht „wahr“ an sich sind, sondern, dass sie in institutionellen Kontexten zu anerkanntem Wissen werden.
Diese Auseinandersetzung mit maschinell generierten Bildern und dessen Verwendung im medizinischen Bereich wirft unter anderem die Frage nach der Verantwortung bei Fehldiagnosen auf.
Literaturbasis:
Daston, Lorraine, Peter Galison (2007): Objectivity. Princeton University Press.
Grasseni, Cristina (Hg.) (2007): Skilled Vision. Between Apprenticeship and Standards. Berghahn Books.
Pasquale, Frank (2015): The Black Box Society: the secret algorithms that control money and information. Cambridge, MA: Harvard University Press.
Rheinberger, Hans-Jörg (2006): Epistemologien des Konkreten: Studien zur Geschcihte der modernen Biologie. Frankfrut a.M.: Suhrkamp.
Zylinska, Joanna (2017): Non-human photography. Cambridge, MA: MIT Press. ( (Mit Fokus auf S. 1–50: «Introduction: Capturing the End of the World» und «Nonhuman Vision»).
© Alexander Nikodemus
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