In the Realm of Photography - Zwischen nicht-menschlicher Fotografie und haptischem Sehen

Der vorliegende Bild-Text-Essay entsteht im Anschluss an Joanna Zylinskas Text Non-human Photography und nimmt den Begriff der fotografischen Sichtbarmachung als zentralen Aspekt in den Fokus. Ziel dieses Essays ist es, sich Zylinskas Thesen praktisch anzunähern. Untersucht wird, inwiefern sich unterschiedliche Arten fotografischer Sichtbarmachung in eigenen Bildproduktionen erfahrbar machen lassen. Die Umsetzung dafür besteht in zwei eigenständigen Bildserien, die jeweils vier Fotografien umfassen und gezielt unterschiedliche Arten des Sehens untersuchen. Die erste Serie widmet sich der nicht-menschlichen Sichtbarmachung – jener maschinellen Form, die weitgehend unabhängig vom menschlichen Blick operiert. Hier liegt der Fokus auf automatisierten oder algorithmisch gesteuerten Aufnahmeprozessen, die eine Entkopplung von menschlicher Wahrnehmung und menschlicher Intention sichtbar machen sollen. Die zweite Serie thematisiert das „haptische Sehen“ – eine körperlich-sinnliche, erfahrungsnahe Form der Wahrnehmung, die Nähe, Materialität und situatives Erleben beinhaltet. Die gezielte Gegenüberstellung beider Serien soll Spannungen zwischen maschineller Bildproduktion und sinnlicher Wahrnehmung hervortreten lassen, die sowohl die Potenziale als auch die Grenzen beider Arten des Sehens aufzeigen. Schliesslich soll der Versuch einer praktischen Umsetzung helfen, die Veränderung unserer Wahrnehmung von und durch Bilder in einer zunehmend technologisierten Welt besser zu verstehen. Fragen lassen sich als am Rande mitzudenken, durch das Projekt hindurch mitnehmen: Inwiefern ermöglicht nicht-menschliche Fotografie eine Erweiterung der Wahrnehmung? Was bleibt trotz beider Ansätze unsichtbar? Und könnte gerade das Zusammenspiel beider Perspektiven neue Zugänge zur fotografischen Erfassung und damit tatsächlicher Wahrnehmung der Welt eröffnen?

Die praktische Untersuchung macht deutlich, dass sich die zwei Arten nicht als strikt dichotomisch, sondern vielmehr als komplementär verstehen lassen. Die maschinelle Fotografie konfrontiert uns mit einer radikalen Dezentrierung des menschlichen Blicks, indem sie neue Blickkulturen entwirft. Ihr Potenzial liegt darin, den Menschen als exklusives Zentrum visueller Erkenntnis in Frage zu stellen. Gleichzeitig verweist das haptische Sehen auf die Unverzichtbarkeit des leiblich-sinnlichen Erfahrens, das fotografische Prozesse historisch wie gegenwärtig mitprägt. Gerade diese Art der Sichtbarmachung, öffnet Räume der Intimität und des Nicht-Sichtbaren. Das Zusammenspiel beider Perspektiven, beider Arten der fotografischen Sichtbarmachung, verändert nicht nur das Verständnis von Fotografie selbst, sondern auch die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen oder erkennen können. Das Zusammenspiel öffnet Möglichkeit über bestehende epistemische Grenzen hinauszudenken. Für die Zukunft fotografischer Praxis bedeutet dies: Nicht nur muss technische Medialität, Fotografie, als aktive Mitproduzentin der Gestaltung und Wahrnehmung der Welt ernst genommen werden, ebenso zentral ist es, die eigen Position als Sehende*r in einem zunehmend hybriden visuellen Raum kritisch zu reflektieren. Ein möglicher Ausblick könnte in der Untersuchung jener Zwischenräume liegen, in denen maschinelles Sehen und haptisches Wahrnehmen nicht mehr trennbar sind – etwa in KI-generierten Bildern, multisensorischen Installationen oder spekulativen fotografischen Verfahren, die das visuelle Spektrum auf ungeahnte Weise erweitern. Fragen lässt sich weiterhin nach den Grenzen der Zusammenführung beider Arten - was bleibt trotzdem unsichtbar?

Literaturbasis:

Zylinska, Joanna (2017): Non-human photography. Cambridge, MA: MIT Press.
(Mit Fokus auf S. 1 – 50: «Introduction: Capturing the End of the World» und «Nonhuman Vision»)

© Lena Mathilda Huth

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